Sorge. Ein persönlicher Kommentar zur Lage der Tourismuswirtschaft im Sommer 2022.
Vor ein paar Tagen musste ich mal wieder einen Vortrag halten. Es ging unter dem Titel „Auf dem Weg zur Tourismusstrategie für das Land Brandenburg. Kontinuität und Neubeginn“ um allgemeine Entwicklungen, Trends, Erwartungen usw. im Tourismus und, daraus abgeleitet, die neue Tourismusstrategie. Bei den Vorbereitungen darauf schubste ich ein paar alte Powerpointfolien hin und her, veränderte dies und das, spitzte zu und ergänzte, wo es mir nötig erschien.
Als ich fertig war, schaute ich mir die Gesamtstory des Vortrags nochmal an. Zweifelnd, ob die Botschaft die richtige ist. Nachdenklich, was man überhaupt noch vortragen kann in einer Welt, die voller schwarzer Schwäne zu sein scheint.
Denn: die letzten Jahre, Monate, Wochen waren nicht einfach. Nicht für die Gesamtgesellschaft, nicht für den Tourismus, nicht für uns als diejenigen, die eigentlich dafür verantwortlich sind, Menschen für Regionen und Ländern zu begeistern und Orten und Unternehmen dabei zu helfen, besser zu werden. Leider wird offenbar nichts besser. Seit gut 2,5 Jahren jagen die Schockwellen der globalen Krisen auch durch unser Gewerbe.
Neulich rief mich einer der großen Hoteliers in Brandenburg an und schüttete mir sein Herz aus: „Andreas, ich kann nicht mehr. Die Corona-Pandemie haben wir noch überstanden und uns jeden Tag gesagt, dass es bald geschafft ist und danach wieder Alltag eintritt. Jetzt arbeiten wir 15 Stunden am Tag, 7 Tage die Woche und ich habe den Glauben an bessere Zeiten verloren.“
Was sagt man da, um zu trösten? Alles würde irgendwie platt klingen. Hoffnungslosigkeit ist das, was ich da raushörte. Solche Arten von Gesprächen führe ich, führen wir alle, die im Tourismus tätig sind, nunmehr fast täglich und oft ist es „nur“ der Fach- und Arbeitskräftemangel, der öffentlich diskutiert wird. Dabei steht der Tourismus in Brandenburg längst vor einer Umkehr seiner gut 30jährigen positiven Entwicklung nach den Wendejahren. Gerne möchte ich an dieser Stelle einige der Beobachtungen teilen.
Investitionsklima
Das Rating der gastgewerblichen Betriebe bei den Banken war selten richtig gut, ist aber mittlerweile überall im Keller. Nach gut zwei Jahren Corona mit unsicheren Zukunftsaussichten kein Wunder. Selbst mittelständische Geldinstitute verlangen, wenn man den Gerüchten glauben kann, mehr Eigenkapital, mehr Sicherheiten und, wie bei anderen auch, höhere Zinsen. Das trifft auf eine Branche, die, meist klein- und mittelständisch geprägt, sowieso, insbesondere im Osten der Republik, kaum „Fett angesetzt“ hat. Darüber hinaus laufen auf vielen Häusern nach wie vor hohe Kredite, deren Rückzahlungsraten ebenfalls drohen zu steigen. Das alles verhindert weitere Investitionen, die doch so dringend nötig wären: in die Energiewende, aber auch in die Modernisierung und Qualitätssteigerung bei zunehmendem Wettbewerb um jeden Kunden.
Personalgewinnung
Der Tourismus ist nicht die einzige Branche, der massenhaft Arbeitskräfte fehlen. Personal ist zum kritischen Erfolgsfaktor geworden. Das hat zum Teil pandemische, vor allem aber auch demografische Ursachen. Letztlich gibt es einfach zu wenige Bewerber*innen auf zu viele Stellen. Das verändert eine Branche, die normalerweise für 24/7 steht. Eingeschränkte Öffnungszeiten, Selbstbedienung, Außer-Haus-Verkäufe, Ruhetage usw. sind die Folge. Auf einer meiner Dienstreisen berichtete vor Kurzem ein bekanntes Ausflugscafé: „Früher hatten wir 10 Angestellte, jetzt arbeitet hier noch 4.“ Das geschieht alles schleichend, nicht immer führt dieser Weg in eine Unternehmensaufgabe und manchmal ist das betriebswirtschaftliche Ergebnis sogar besser. Aber: das touristische Angebot im Land verändert sich.
Preisentwicklung
Wissen Sie, was zurzeit ein ehrlicher Preis für ein „Wiener Schnitzel mit Beelitzer Spargel“ wäre? Ungefähr 35 Euro. Und? Wären Sie bereit, so viel zu bezahlen? Eher nicht? Dann geht es Ihnen wie vielen anderen auch. Die allgemeinen Preissteigerungen erleben viele als tiefe finanzielle Einschnitte. Und wenn man den Vorausschauen glauben kann, ist das erst der Anfang, Stichwort „Nebenkostennachzahlung“. Zu niedrige Preise stabilisieren zwar „noch“ die Umsätze, lassen aber die Gewinne weiter abschmelzen. Vielfach wurde mir berichtet, dass sich Unternehmen nicht trauen, gestiegene Kosten weiterzugeben, da die Kunden es nicht zahlen würden. Und so behilft man sich derweil mit kleinen Tricks wie dem „Schnitzel Wiener Art“.
Dauerhaft ist das nicht tragbar und so wird auch dieser Punkt seinen Anteil am Strukturwandel der Branche leisten.
Energiekosten
Früher machten Energiekosten in der mittelständischen Hotellerie ca. 8-10 % der Gesamtkosten aus, in energieintensiven Tourismusbetrieben (Thermen, Schwimmbäder, Saunen etc.) auch mehr. Die Gas- und Energiepreise haben sich seit Anfang des Jahres vervielfacht. Ein Mitarbeiter einer größeren Wellnesseinrichtung im Land Brandenburg rechnete mir vor: „Ich müsste die Eintrittspreise eigentlich um 50% anheben, um die gestiegenen Kosten abzufangen.“ Kann er das? Nein, denn viele seiner Kunden werden sich dann einen Besuch nicht mehr leisten können. Der schnelle Umstieg auf Erneuerbare? Für viele jetzt denkbar, aber schnelle Planungen und Umsetzungen sind leider nicht zu erwarten. Es fehlen Handwerksbetriebe, Eigenkapital, günstige Kredite oder Förderungen und investitionsfreundliche gesetzliche Rahmenbedingungen.
Und so hört man von dem einen oder anderen heute schon: wenn es kalt wird, mach ich zu. Die gleiche Konsequenz hätte im Übrigen ein Szenario im Falle des Gasnotstands im Herbst/Winter, das der Chef der Bundesnetzagentur Müller mit den Worten skizzierte: „Produkte und Angebote, die in den Freizeit- und Wohlfühlbereich fallen, (seien) eher nachrangig. Schwimmbäder gehören wohl nicht zum kritischen Bereich, genauso wie die Produktion von Schokoladenkeksen.“
Imageschaden
Es hieß einmal: verreisen tun die Leute immer! Dass das offenbar nicht so ist, haben wir in den vergangenen Jahren gesehen. Der daraus resultierende Imageschaden ist ein mehrfacher. Die Eltern schicken ihre Kinder nicht mehr in gastgewerbliche Berufe, weil sie „unsicher“ wären. In Teilen der öffentlichen Wahrnehmung steht der Tourismus als „Ewig-Meckernde“ da, weil die Branche trotz massiver staatlicher Unterstützung nicht aus der Krise heraus kommt. Wie sollte sie auch? Schließlich auch bei Banken und Versicherungen, Fach- und Arbeitskräften, Teilen der Politik und der Medien, bei denen „touristische Debatten“ von Übertourismus/Overtourism, überfüllten Zügen und Flughäfen, Zerstörung von Natur und Flugscham geprägt sind.
Konsumveränderungen
Bio, fair, regional: drei Versprechen, die in den letzten Jahren immer mehr an Wert gewonnen haben. Plötzlich ist „Geiz wieder geil“. Angetrieben von den steigenden Lebenshaltungskosten schauen viele Konsumenten wieder genauer hin, leider nicht auf die Qualität, sondern auf den Preis. Kein Wunder, wenn man den Euro umdrehen muss, dann achtet man nicht allein auf Nachhaltigkeit, sondern auf Rabatte und Aktionsartikel. Ja, die Krisen haben deutlich gemacht, wie abhängig wir vom globalen Handel sind. Das müsste einerseits die Regionalität befördern. Andererseits ist diese oft verbunden mit höheren Preisen als die Konkurrenz. Wie der Kunde dann entscheidet, konnten wir unlängst beim Spargel beobachten.
Diese sechs akuten Krisenmerkmale verschärfen sich durch langfristige Entwicklungen, die die Destination Brandenburg strukturell und landschaftlich verändern. Neben den bereits genannten Ressourcen Personal und Energie ist es vor allem das Wasser, das mir persönlich große Sorgen bereitet. Das geht über die reißerische Frage: „Wie viele Seen sind denn schon ausgetrocknet?“ weit hinaus. Aber die Kultur- und Naturlandschaft verändert sich stetig. Schon jetzt fehlt ein ganzen Jahr Niederschlag aus den letzten fünf Jahren. Und die Wälder, die Gewässer, die Parks und Gärten, die Weite der Kulturlandschaft. Das ist das, wofür Brandenburg steht und was dieses Land so lebens- und besuchenswert macht.
Ist das jetzt alles zu pessimistisch? Nein, denn Prognosen habe ich ja noch garnicht gestellt und kann ich genauso wenig wie andere. Wenn ich es tue, dann ist es vielmehr ein „Raten“. Zu komplex und unvorhersehbar ist die Welt. Ja, sie ist zur Zeit auch eine Zumutung. Für alle, die jeden Tag eigentlich alles dafür tun, dass sich Gäste und Bürger*innen in unserem Land wohl- und willkommen fühlen.
Ich bin auch nicht nur der Meinung, dass aus jeder Krise, Chancen entstehen (dass einige aus Krisen als Gewinner*innen hervorgehen ist eine Binsenweisheit), denn manchmal ist eine Krise einfach nur eine Krise.
Ich glaube aber an die Anpassungsfähigkeit, die Cleverness und Innovationskraft der brandenburgischen Tourismuswirtschaft. Schon jetzt ist, neben einem gestiegenen Konkurrenzkampf, auch schon ein größeren Zusammenhalt spürbar. Denn wenn wir eins wissen: durch dieses Tal müssen wir gemeinsam durch und nur zusammen werden wir die Herausforderungen stemmen können. Dafür braucht es mehr Anstrengungen, Transparenz und Ehrlichkeit, aber vor allem auch Mut für unkonventionelle Lösungen.