49-Euro-Ticket und Gästekarten – Konkurrenz oder Synergie?

Seit der Ankündigung einer Nachfolge für das 2022er Erfolgsmodell „9-Euro-Ticket“ wird in der touristischen Community diskutiert, ob ein Gästekartensystem, das fahrpreislosen ÖPNV beinhaltet, noch sinnvoll ist oder sich überlebt hat. Lesen Sie dazu einen Kommentar von Dr. Andreas Zimmer, TMB Tourismus-Marketing Brandenburg GmbH.

Stellen Sie sich eine Urlaubswelt vor, in der Gäste und Einwohner*innen gleichberechtigt eine bequeme und moderne Mobilität in und zu ihrem Reiseziel nutzen können, die wenig kostet, flächendeckend, digital und 24/7 verfügbar sowie klimaneutral ausgestattet ist. Sie verbände ganz selbstverständlich nahtlos die Schiene und weitere öffentliche Verkehre mit Mikro-, Anschluss- und Sharing-Angeboten.

In vielen Destinationen würde damit die private Autonutzung überflüssig. Die touristische Verkehrswende als Teil der gesamtgesellschaftlichen wäre damit einen großen Schritt vorangekommen.

Wäre das nicht schön und wünschenswert? Ja, unbedingt. Wird uns das 49-Euro-Ticket auf diesen Weg touristisch entscheidend voranbringen? Es kommt darauf an.

Wer sich als Laie, wie ich, auf das Abenteuer des Verstehenwollens der Finanzierung von Öffentlichen Verkehren begibt, merkt schnell: im Dschungel von Regionalisierungsmitteln, Brutto- und Nettoverträgen, Verteilung von Ticketeinnahmen, kommunalen Zuschüssen, Bestellungen, privaten und landkreis- und bundeseigenen Verkehrsunternehmen ist für den Nichtexperten kaum ein Durchkommen.

Was ich allerdings schon verstanden habe: das öffentliche Verkehrssystem ist ein komplexes, in dem Ticketverkäufe, ob als 9 Euro-, 49 Euro- oder Normaltarif im Finanzierungskreislauf nur die erste von mehreren Säulen ist. Genauso wichtig ist die zweite Säule: die Finanzierung aus Steuermitteln, unabhängig davon, ob diese vom Bund, den Ländern oder Landkreisen und Kommunen geleistet wird.

Wenn wir uns im Spiegel dessen den Stand der Verhandlungen zum 49-Euro-Ticket zwischen Bund und Länder anschauen, dann gewinne ich den Eindruck, dass hier zwei Dinge miteinander vermischt werden. Zum einen die deutschlandweite Vereinheitlichung von Tarifstrukturen in Kombination mit einem billigeren Ticket und zum anderen das, was wir als „Verkehrswende“ mit allen notwendigen Ausbauten und Innovationen im ÖPNV-Sektor benötigen. Zwar warnen viele Branchenvertretungen, dass das System unterfinanziert sei, ob 49 Euro hin oder her, aber dringen offenbar in der öffentlichen Wahrnehmung damit nicht durch.

Um es zuzuspitzen: was nutzt mir ein 49-Euro-Ticket, wenn keine Bahn oder Bus mehr fährt?

Das könnte man jetzt als Reflex einer steuerlich finanzierten Branche abtun, aber wenn ich mir die Bundesubventionierung i.H.v. 1,5 Mrd. Euro pro Jahr für das 49-Euro-Ticket anschaue, vermute ich, dass dieses nicht zu Mehreinnahmen, sondern lediglich zum Ausgleich entgangener Ticketeinnahmen führt, die sonst über den Verkauf „normaler“ Tariftickets erlöst würden.

Zwar sollen, wie zu lesen, erfreulicherweise gleichzeitig den Ländern eine Milliarde Euro pro Jahr mehr an Regionalisierungsmitteln zufließen, die vermutlich über den Kieler Schlüssel verteilt werden, doch große Sprünge sind in Zeiten von Inflation und massiven Kostensteigerungen damit wahrscheinlich nicht möglich.

Kurzum: so unbedingt erstrebenswert für den Fahrgast ein günstiges, deutschlandweit gültiges und leicht zugängliches Ticket ist, werden aus meiner Sicht damit keine zusätzlichen Einnahmen in das öffentliche Verkehrssystem gespült.

Diese werden allerdings dringend benötigt, sollen Busse und Bahnen öfter oder überhaupt fahren und neue Mobilitätsformen umgesetzt werden. Das gilt ganz besonders für ländliche Räume, in denen der ÖPNV schon vielfach ausgedünnt ist.

Und gerade hier kommt der Tourismus und mit ihm umlagefinanzierte Systeme wie Gästetickets ins Spiel. Diese werden oft auch als Dritte Säule der ÖPNV-Finanzierung bezeichnet. Im deutschsprachigen Raum sind sie in den vergangenen Jahren zu einem dutzendfachen Erfolgsmodell der nachhaltigen Mobilität geworden. Von der Konus-Gästekarte im Schwarzwald, über das Rennsteig-Ticket in Thüringen oder die Gästekarte in der Sächsischen Schweiz – überall dort, wo Tourist*innen gegen einen kleinen solidarischen Mehrpreis pro Nacht das gesamte öffentliche Verkehrssystem in ihren Urlaubsdestination nutzen können, werden echte Mehreinnahmen zweckgebunden generiert. Und diese führen nicht nur zu einer Stabilisierung, sondern teilweise auch zu einem Ausbau des ÖPNV, der schließlich nicht nur den Gästen, aber auch den Einheimischen zugutekommt. Nicht zu vergessen ist an der Stelle, dass der ÖPNV nur einer von vielen Komponenten in einer Gästekarte sein kann.

Ist das dem Gast vermittelbar, der dann doch bald mit einem 49-Euro-Ticket in die Destination reist? Ich denke schon. Denn mit dem 49-Euro-Ticket hat der Gast die Möglichkeit, den ÖPNV zu nutzen. Und mit dem Gästeticket leistet er einen Beitrag, damit es für ihn und sein Nutzungsverhalten überhaupt einen ÖPNV gibt.

Für alle anderen, laut Umfragen zwischen 50 und 80% der Deutschen, die weiterhin mit dem Auto in den Urlaub reisen, bleibt ein Gästeticket ein niedrigschwelliges Angebot für eine ganz persönliche Verkehrswende zum Ausprobieren.

Und falls die Destination schon sehr gut aufgestellt ist, verweise ich auf die Vision am Anfang. In den meisten Orten sind wir da leider noch nicht. Umlagebasierte Gästetickets können ein Wirkbeschleuniger auf dem Weg dahin sein.

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